Dass Marken gefälligst Haltung, neudeutsch brand purpose, zu zeigen haben, galt ja schon vor Corona als abgemacht. Sei es wegen VWs Diesel-Unsinn, Adidas’ Miet-Aussetzer, Tierwohl hier, Kinderarbeit dort und neuerdings auch in Form von Applaus für Klinik- und Kassenpersonal. Grundsätzlich löblich, denn wer liebt nicht das Bild vom redlichen, ehrenhaften Geschäftspartner, der einen nicht über den Tisch zieht – oder nur ganz, ganz langsam von wegen der Reibungshitze. Die Frage ist nur: Reicht das?
Haltung bewirkt durchaus etwas. Zumindest solange einem die Konsumenten das nebst Ware abkaufen, weil sie sich infolge der Marken-Haltung als moralisch überlegen fühlen dürfen oder die Marke sonst wie Empathie und Mitgefühl in schwierigen Zeiten zeigt. Doch wird man auf diese Weise relevanter als die liebe Konkurrenz, was nun einmal ursächliche Aufgabe einer Marke ist?
Nun, schauen wir mal auf den Anfang des Corona-Lockdowns im April, als Unternehmen von Aldi bis Penny kollektiv Haltung zeigten und wahlweise Kunden oder Mitarbeiter zu Helden adelten. Das war schlau. Ob hingegen das, was Douglas zum Muttertag im Mai nachgereicht hat, noch schlau war, überlasse ich dem geneigten Betrachter, dem zum direkten Vergleich noch dieses herrliche Filmchen empfohlen sei.
Aber wie kann es zu solch offensichtlicher Beliebigkeit kommen?
Vielleicht war das Setting ja wie folgt: Das trendbewusste Marketing initiiert einen Haltungs-Workshop per Zoom. Der Wichtigkeit des Themas angemessen mit sämtlichen Stakeholdern der Company. Nicht alle vom markenstrategischen Fach, dafür aber alle voller good vibrations und dem inniglichen Willen beseelt, da jetzt endlich auch mal was zu machen. Aber leider nur mit dem einzigen Konsens, auf den sich solch heterogene Interessensgruppen bei der Frage nach der Haltung von Unternehmen oder Marke einigen können, nämlich: Wir sind die Guten! Ums »warum« soll sich das Marketing kümmern. Wenn das Marketing dann aber nix hat, was als valide Messlatte fungiert (etwa eine Markenpositionierung), kommt dabei eben sowas raus.
Das Versprechen an seine Kunden, zum gesellschaftlichen Fortschritt, zum positiven Wandel, zur Nachhaltigkeit etc. pp. beizutragen, ist wie gesagt löblich. Der positive Image-Schub wird sich aber nicht kurzfristig per aktionistischer Reklame, sondern nur langfristig aus der Gesamtheit sämtlicher Unternehmensaktivitäten ergeben —> siehe Apple.
Ähnlich übrigens wie Hygienefaktoren a la Freundlichkeit, Fairness und Ehrlichkeit. Alles Begriffe, die in fast jedem großen Markenworkshop dank zu vieler Köche irgendwann auf den Tisch kommen. Häufig mit der aus gruppendynamischer Hilf- und Ideenlosigkeit geborenen Behauptung, darin wäre man besser als die Konkurrenz. Vor Corona habe ich mir in solchen Situationen immer den Spaß gegönnt, mitten im Meeting mit zum Handshake ausgestreckter Hand auf Jemanden zuzugehen, ihr/ihm tief in die Augen zu schauen, ordentlich lange die Hand zu schütteln und mich meinem Gegenüber wie folgt vorzustellen:
„Guten Tag, mein Name ist Frank, Andreas Frank. Und ich bin echt ehrlich!”
Spätestens da dämmert’s (meistens), dass man so etwas kaum über sich selbst behaupten kann, ohne zu Recht für bekloppt gehalten zu werden. Man muss es leben und PR-gestützt hoffen, dass das später andere über einen sagen. Das gilt auch für Corporate Social Responsibility —> siehe auch hier Apple.
Aber nicht, dass wir aneinander vorbei reden: Unternehmer und deren Firmen und Marken sind Bestandteil unserer Gesellschaft und tragen als solche Mitverantwortung für eine positive Entwicklung. Ist ihr Beitrag gut, wären sie schön blöd, würden sie das nicht kommunizieren. Ansonsten gilt:
Erst mal Hausaufgaben machen!
Dazu gehört fürs Marketing die simple, manchmal in Vergessenheit geratene Wahrheit, dass Marken kein nice to have sind, sondern den Zweck haben, Wechselbarrieren aufzubauen. Keine fiesen mittels Knebelvertrag oder dämlichen mittels Dauertiefstpreis (hält sowieso keiner durch). Sonder positive via Relevanz – und zwar in Abgrenzung zu vergleichbaren Anbietern im Markt.
Haltung kann und wird darauf nie die einzige Antwort sein, ist manchmal aber ein durchaus anständiger RTB (reason to believe) für ein ganz anderes, dann aber bitte markentypisches Versprechen, dass es zu finden, herauszuarbeiten gilt. Eine vordergründige Suche nach dem, was die Haltung des eigenen Unternehmens/der eigenen Marke ausmacht, greift deshalb zu kurz.
Statt zu kuscheln, liebe Marketer, …
gilt es mit produktiver Reibung zu ergründen, welche Probleme Käufer haben, welche Needs und welche Dilemmata eure Marke besser als die Konkurrenz lösen kann und wo der Schuh drückt – gerade auch intern. Dann nämlich wird eine Marke zu einem strategischen Instrument, hilft zu führen und zu entscheiden und integriert verschiedene Anspruchshaltungen. Eine solche Marke macht ein Unternehmen stark, weil Kunden die Marke wirklich schätzen und entsprechend bevorzugen. So sehr, dass man genug Geld verdient, um Haltung finanzieren zu können. Mit Fakten belegt, versteht sich.
Und wen das jetzt irritiert, weil man mit dem Haltungs-Workshop doch endlich einmal alle, sogar das Top-Management, an einen Tisch bekommen hat, der stelle sich bitte abschließend dreieinhalb einfache Fragen:
- Wie differenzierend ist das gute Gewissen der Konsumenten noch, wenn’s alle machen?
- Für was steht meine Marke außerdem oder sind wir vielleicht gar keine Marke, sondern nur ein nettes Label mit hübschem Haltungs-Cape?
- Wieviel Haltung können wir uns mit einem austauschbaren Label leisten?
Kurzum: Haltung lullt bisweilen mächtig ein. Die eigenen Kollegen und die Kunden, solange die das mit sich machen lassen. Die wirkliche Suche nach »Relevanz« zielt hingegen auf weit mehr ab, als auf kurzfristige, populistische Marketingkniffe, um soziale Verantwortung oder gesellschaftliches Engagement zu reklamieren/simulieren. Richtig gemacht sogar mit dem Effekt, dass man anschließend weiß, wie das eigene Angebot besser wird und Kunden einen fortan genau dafür lieben (und präferieren). So geht Marke – ohne aber gerne auch mit Haltung.
PS1: Wie Marke + Haltung geht, seht ihr hier:
Apple, 1997
Nike 2020
PS2: Jede Menge Covid-19-Kampagnen.
Was mich speziell genervt hat, waren die ganzen Danke-Kampagnen. Reine Seelenhygiene für all die Werbetreibenden, die endlich ein Thema gefunden hatten, das sie in eine Anzeige packen konnten 🙂